Die BMW E30 Story, Teil 2: Rien ne va plus.
Es gibt Punkte im Leben, da geht’s nicht mehr zurück. Wenn dir das iPhone am Ubahnklo ins Häusel fällt, oder der Zahnarzt mit dem Bohrer im Nervenkanal steckt. Auch ein völlig zerlegtes Auto zählt dazu.
Text: Patrick Aulehla | Fotos: Patrick Aulehla
Der Kaufvertrag ist unterschrieben, das Geld ist überwiesen. Du hast die blauen Kennzeichen unterm Arm, die im Autouniversum nur Zweierlei bedeuten können: Du bist ein geiziger Hund, der seinen Kübel nicht anmelden möchte für die paar Meter im Jahr, oder du führst gleich eine Leiche spazieren. Sogar der Verkäufer will nicht recht glauben, dass du ohne Anhänger kommst, aber blöd wäre er, dir das zu sagen. „Ah, auf Achse, super Idee!“, und hofft, dass die Fuhre nicht noch am Hof zerbröselt. Du schleifst dich zur Werkstatt deines Vertrauens - bis jetzt ist alles gut. Denn erst auf der Hebebühne wird der genaue Befund erstellt.
Ob du wirklich richtig stehst...
Wenn einem nach bedingungsloser Ehrlichkeit ist, fährt man in die Werkstatt. Nicht zu Mami, die auch den verzogensten Bengel irgendwie gern haben muss, sondern zu seinem Lackierer oder Spengler oder Mechaniker. Die haben selten etwas übrig für dieses Alles-nicht-so-schlimm-Geplänkel, und heute weiß ich auch, warum. Sie haben es fast immer mit Ahnungslosen zu tun. Mit Menschen wie mit mir.
Tipp vom Profi: Der Sportauspuff kommt als erstes drauf.
Diese Menschen fragen dich lässig, ob du drüber schauen kannst über das schmucke Gefährt, das sie gerade erstanden haben und ermutigen dich noch zur Maßarbeit. Weil selbst waren sie schon dran und gefunden hätten sie nichts. "Geh Gerhard", sage ich zum Werkstattbesitzer, "könnest mir den schnell auf die Bühne heben? Ich hab eh schon gegoogelt und durchgecheckt, aber bei den Feinheiten kennst du dich vielleicht eine Spur besser aus mit deinen 40 Jahren Berufserfahrung."
Klar doch, denkt sich Gerhard, die Sonne scheint, ein schöner Tag, und unbeholfen klingt der ja wirklich nicht. Shadowline hier, Vorfacelift da - er hat es also auswendig gelernt, das E30 Lexikon. Erst als der Bayer in die Halle rollt und die Brauntöne sanft durch das Silber schimmern, weiß er, dass es gleich wieder passiert. Gleich wird wieder jemand seiner Illusionen beraubt.
Schön gedacht, schlecht gemacht
An der ix-Version des E30 ist von der Front bis zum Heck ein Kunststoffverbau montiert, der dem Auto ein wenig Breite verleiht und den schlimmsten Dreck von der Karosserie fernhält. Falls der Allrad einen allzu sehr erwischt und man über Feldwege statt die Bundesstraße in das Büro zu fahren plant. Während die Vierrädrigkeit heute jeder Innenstadtrodel dazuoptioniert wird, dass nix sein kann, wenn was wäre im Gebirge des siebten Bezirks, war Allradfahren früher ein Bekenntnis. Wer eine Ixn kauft, der fährt sie auch. Verständlich, wenn BMW eine Kraftverteilung von 37 zu 63 in das Auto schraubt. Ein wenig mühsam, wenn du nach 30 Jahren eine Bestandsaufnahme machst.
Bestandsaufnahme heißt Hebebühne, und Hebebühne heißt leiden. Wenn sich die Masse des Fahrzeugs von der Aufhängung langsam auf die vier Punkte verteilt, die man selbst als statisch würdig auserkoren hat, um die zwölfhundert Kilo auszuhalten, bleibt nur eines: hoffen. Schon das Aufheben eines neuen Auto ist mir kein wohliges Gefühl. Bei einer 86er-Ixn aus dem Kräutergarten setzt es schnell ein Magengeschwür. Zurecht. Die schicken und dynamischen Plastikränder sind nicht mehr als ein Sammelbecken für Dreck und Salz, in dem in aller Ruhe korrodiert werden kann. Das ist wie beim Zähneputzen: Ein paar Mal nicht gut aufgepasst und das Drops ist gelutscht. Dann liegst du da mit einem Haufen Werkzeug im Mund und wunderst dich, wie jetzt alles so schnell gehen konnte.
Egal an welcher Schraube wir drehten oder an welcher Stelle wir drückten: irgendetwas war mit Sicherheit hin. Beide Radhäuser vorne: durch. Beide Radhäuser hinten: durch. Federn: gebrochen. Dämpfer: leck. Auspuffanlage: hin. Bremsanlage: hin. Schiebedach, Motorantenne, Radio, Tank: alles einfach fetzenhin. Bevor ich mir die Finger wund reflektiere: Es war viel mehr hin als nicht hin.
Sonderausstattung, wohin das Auge reicht: Hier die BMW-Innenraumbelüftung.
Es hat sich endlich ausgegrübelt
Das Gute ist: Wenn eine Situation dir keinen Ausweg zeigt, dann kannst du dich im Grunde entspannen. Die Würfel sind gefallen, die Entscheidung ist dir abgenommen. Da kannst du mit dem Rostumwandler draufhalten, solange du möchtest - eine tote Kuh ist nicht zu melken. Du musst dir nur noch überlegen, wie du deinem Spengler erklärst, dass er sich das mit Griechenland eher aufzeichnen kann, weil die nächsten fünf Monate wird er kein Tageslicht sehen. Und deiner Freundin, dass Hausbauen was für die Schnöselpartie ist, und die Kinder in der Wohnung viel mehr Nähe bekommen. Wenn du dann wieder zuhause bist, weil jetzt ziehst du erst einmal in die Werkstatt ein.
Man kann sich gar nicht vorstellen, wie viele Teile in so einem Auto stecken. Ich meine damit nicht Motorhaube und Reifen, Fenster und Türen, sondern Schrauben und Klammern, Stifte und Stecker. Dieser ganze poröse Plastikschmarrn, den es bei der kleinsten Berührung in seine Atome zerreißt. Einstiegsleisten ausbauen, zum Beispiel. Das funktioniert bei einem 30 Jahre alten Auto einfach nicht, ohne dass es einen Kracher macht. Gesteckte Türverkleidungen, dito. Sogar aus der Mittelkonsole fliegen unweigerlich die Trümmer heraus, weil die Bayern sie mit Plastikschrauben montieren und die dann in den verwinkeltsten Ecken verstecken. Wirklich mutig ist der, der sich an die Heizung wagt. Schiebregler, Drähte und Plastikführungen – ein Gedicht. Da heulst du dich vorsorglich lieber im Forum aus und hoffst, dass dir aus Mitleid irgendeiner das Ersatzteil schickt. Apropos schieben: Ein Schiebedach wünsche ich mir nimmermehr. Ist der Ablauf einmal verlegt, oder der Schließmechanismus ein bisschen angeschlagen - irgendwo im Auto kannst du Goldfische züchten.
13.000 Trümmer später
Und dann: Stille. Nichts ist mehr dran und nichts ist mehr drin. Keine Blenden und keine Verkleidungen, keine Heckleuchten und keine Schweinwerfer. Im ersten Teil habe ich ja von einem Point of no Return gesprochen: Das ist er jetzt, rien ne va plus. Dir gehört kein Auto mehr, nur ein löchriger Haufen Altmetall, der es aus eigener Kraft nicht einmal auf den Anhänger schafft. Wenn sie die Damen beim Worseg in den OP-Saal schieben, weil’s auf lange Sicht zum Beispiel rentabler ist, die Falten einfach wegzuschleifen als täglich kiloweise Makeup zu versenken, dann fühlen die wahrscheinlich Ähnliches. Man wird danach in neuem Glanz erstrahlen, aber wissen wie's funktioniert, will man lieber nicht.
An dieser Stelle heißt es also Abschied nehmen. Tapfer sein, bis in ein paar Wochen das Alte wieder ein Neues ist. Dann geht's nämlich erst richtig los. Während der Lack fertig härtet und sich die Halle nach und nach mit Neuteilen füllt, wird der Motor revidiert und die Elektrik angegriffen. Das Tal scheint durchschritten. Hoffentlich!
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