KIA EV6: Gut Ding verträgt Weile
Zwei Jahre ist der KIA EV6 auf dem Markt - damit ist es Zeit für ein Resümee: Fetzt das Design auch 2023 noch? Und wie schlagen sich Reichweite und Ladeleistung im aktuellen Vergleich?
Text: Patrick Aulehla | Fotos: Oliver Hirtenfelder
Als KIA vor gut zwei Jahren das Tuch vom EV6 hinunterzog, waren wir, gelinde gesagt, überrascht. Wer hätte den Koreanern damals zugetraut, sich im übertragenen Sinn einen Irokesen zu schneiden und in der Muskelbude auf Maximalkraft zu trainieren? Einer Automarke, die bislang für gemäßigte Mobilität einstand - mit Picanto, Rio, Ceed und Niro? Wir nicht.
Jetzt werdet ihr sagen, die Elektromobilität habe die Vorzeichen verändert, und das stimmt auch gleich aus mehreren Gründen. Zum einen ist es relativ einfach, einem Elektroauto hohe Leistung anzuprogrammieren, ohne dafür viel Geld auszugeben. Das ist ein Vorteil, den weniger die Ferrari- oder Porsche-Kunden wahrnehmen, sondern die normalen Auto-Konsumenten. Dem Sportwagen im Kompakten eine aufzubrennen, wenn er versucht sich über die Abbiegespur vorzudrängeln - das erfüllt zwar keinen Grundnutzen, aber lustig ist es allemal. Ein weiteres Vorzeichen, das die Elektromobilität ändert, ist das Design. Statt immer grauer, immer gleicher Einheitsware sprießen jetzt Gefährte aus den Werken, die im Verbrenner-Zeitalter bestenfalls als Studien durchgegangen wären.
Nicht nur Lamperl, sondern Designelemente: Die Scheinwerfer und Heckleuchten des EV6 könnte man so auch an einer Studie finden.
Ein Design ohne Weichzeichner
Dass der EV6 in Sachen Dramatik noch weiterfährt, wo KIA sonst längst die Handbremse angerissen hätte, ist eine erfrischende Wendung in der Markenstrategie. Plötzlich ist KIA nicht mehr nur für sieben Jahre Garantie bekannt, sondern auch für ein Elektroauto, das mit scharfem Design und gewaltigen Motoren das Vernunft-Image der Marke umreißt. Unser Testwagen fährt mit 326 PS vom Hof - und ja, da ist sogar noch Luft nach oben.
Dass so viel Schmalz nicht zwingend nötig ist, versteht sich ehrlicherweise von selbst, aber haben ist bekanntlich besser als brauchen. Was man dank 326 PS hat, ist Elektroauto-typische Anreiß-Verhalten zum Quadrat, dargereicht über alle vier Räder. Das hilft dabei, sich aus Kurven hinauszudrücken als gäbe es kein Morgen mehr, und obwohl wir es in jedem Elektroauto mehr oder weniger erleben: Die Ruckartigkeit, mit der der EV6 an der Kutsche zieht, ist schon erstaunlich. Für eine Beschleunigung von 5,2 Sekunden von Null auf Hundert hat es früher NoVA-feindliche Sport-Motoren gebraucht. Heute gibt es die auch zur Designer-Limousine dazu. Und weil wir vorher Luft nach oben geschrieben haben: Der stärkste KIA EV6, der KIA EV GT, dreht mit 585 PS in 3,5 Sekunden von Null auf Hundert auf - zumindest solange die Passagiere einem das durchgehen lassen.
Flusch und weg: Die 326 Allrad-PS bringen gewaltig Schwung in die Bude. Auf Wunsch gibt es unglaubliche 585 PS.
Trotz bis zu 585 PS bleibt Platz für Familie und Gepäck
Während unser 326 PS starker Testwagen und der 585 PS Über-EV6 GT mit Allrad fahren, setzt die "schwächere" Variante mit 229 PS auf Heckantrieb. Das ist im Alltagsbetrieb kein erhebliches Manko - bei sportlicher Gangart wissen vier Räder die Kraft allerdings besser zu verteilen. Was im Dynamik-Studium ebenfalls merkt: Klein ist der EV6 nicht. Rund 4,7 Meter Länge, 1,9 Meter Breite und zwei Tonnen Leergewicht wollen durch die Straßen gezirkelt werden - das vergisst man ob des gewaltigen Antritts ein bisschen. Allerdings ist dieser KIA auch nicht als Gasserlhatzer gedacht, sondern als Crossover für bis zu fünf Passagiere. Und da überwiegt das ordentliche Platzangebot die ob der Größe eingeschränkte Leichtfüßigkeit klar. Man sitzt auf allen vier Plätzen mit ausreichend Luft, und falls man plant auf Urlaub zu fahren: zwischen 490 und 1.300 Liter passen unter das flotte Blech - damit kämen wir eine Woche gut durch.
Stylish, klar, aber auch praktisch: Urlaubsgepäck, Fahrräder, Wocheneinkäufe verteilt auf bis zu 1.300 Liter Ladevolumen.
Mit 350 kW Ladeleistung die Ladezeit-Referenz
Apropos Urlaub: Dafür hält der EV6 nicht nur bis zu 510 Kilometer Reichweite gemäß WLTP parat, sondern auch ein Bordladegerät, das 350 kW verträgt. Das bedeutet umgerechnet in Ladezeit: Für 100 Kilometer Reichweite steht man bei optimalen Bedingungen keine fünf Minuten, nach 18 Minuten ist die 77,4 kWh Batterie von 10 auf 80 Prozent geladen. Zusammengefasst kann man sagen: Selbst wenn man konstant 130 km/h schnell fährt, wird man 300 Kilometer in einem Zug durchbringen. Und alle 300 Kilometer für 18 Minuten eine Pause machen? Wir könnten damit gut leben.
Logo: Wenn man jede Kurve auf der letzten Rille fährt, hat man die 510 Kilometer Reichweite schnell dezimiert. Dann lieber dem ordentlichen Meridian Soundsystem lauschen.
Um zum Abschluss die eingangs erwähnte Frage zu beantworten: Ja, der KIA EV6 steht auch nach zwei Jahren noch gut im Futter. Das Design ist scharf geblieben, die Leistungsdaten sowieso, und das 800 Volt Bordnetz mit daraus resultierendem 350 kW laden wäre auch heute noch eine Schlagzeile wert. Dass man dafür nicht so wenig ins Börserl greifen muss, ist allerdings klar: Der Einstieg in den KIA EV6 gelingt ab einem Preis von 56.190 Euro - dafür bekommt man 229 PS, 77,4 kWh an Batterie und diverse Ausstattungsfeatures wie den adaptiven Stop & Go-Tempomaten, den aktiven Spurhalteassistenten, Voll-LED-Scheinwerfer, schlüssellosen Zugang und das 12,3-Zoll-Multimedia-Navi mit Apple CarPlay und Android Auto.
Preislich fair, sogar in der 585 PS starken GT-Version
Für unseren 326 PS starken EV6-Testwagen wandern zumindest 60.090 Euro über den Tisch - ein vertretbarer Aufpreis für Allradantrieb und ordentliche Zusatz-Leistung. Was uns beim Blick in die Preisliste aber am meisten überrascht: Zwischen einem vollausgestattetem EV6 mit 326 PS (GT-Line Premium, ab 69.990 Euro) und dem EV6 GT liegen nur etwas über 5.000 Euro (EV6 GT: 75.390 Euro). Klar, das ist in absoluten Zahlen nicht wenig Geld. In Relation zu 585 PS Leistung und 3,5 Sekunden von Null auf Hundert aber geradezu ein Sonderangebot.
KIA EV6 326 PS 77,4 kWh Premium Plus Technische Daten
Testwagenpreis: € 72.290 brutto abzüglich E-Auto Förderungen in Österreich von bis zu 5.000 Euro (Basispreis KIA Ev6: € 56.190)
Bestellbar: Ab sofort. (Konfigurator)
Maximale Leistung: 240 kW/326 PS
Drehmoment: 605 Nm
0-100 km/h: 5,2 sek.
Vmax: 185 km/h
Leergewicht: 2.090 kg
Kofferraum: 490 - 1.300 Liter
Länge/Breite o.S./Höhe: 4.680/1.880/1.550 mm
Batteriekapazität: 58 kWh - 77,4 kWh
Verbrauch (WLTP): 17,2 - 18,4 kWh/100 km (326 PS Allrad)
Reichweite (WLTP): 472 - 506 km (326 PS Allrad)
Ladung: 11 kW AC (10-100%: 7h20) | 350 kW DC (10-80%: 18 min)
Ganz schnell: Der KIA EV6 ist ein Elektroauto-Crossover mit 326 PS und beeindruckenden Fahrleistungen. In 5,2 Sekunden sprintet der KIA EV6 von Null auf Hundert, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 185 km/h an. Außerdem kann der KIA EV6 dank 800 Volt Bordnetz und 350 kW Ladeleistung sehr schnell laden: Von 10 auf 80 Prozent ist die Batterie in nur 18 Minuten aufgefüllt. Die Reichweite des KIA EV6 beträgt bis zu 510 Kilometer gemäß WLTP - genug für die Urlaubsfahrt. Dafür steht auch das Kofferraumvolumen bereit: Zwischen 490 Liter und 1330 Liter bekommt man in das Ladeabteil. Und falls man einen Camping-Urlaub plant: Der KIA EV6 kann dank V2L-Ladesystem diverse Elektronikgeräte aufladen - auch dann, wenn der Motor nicht läuft.
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