Range Rover SV: Nie wieder Plastikkuh oder Abrollgeräusche
244.000 Euro. Nicht das Haus. Der Range Rover. Übertrieben? Ja, sicher, da haben Sie recht. Aber lassen's mich Ihnen das kurz erklären.
Text: Patrick Aulehla | Fotos: Oliver Hirtenfelder | Mit freundlicher Unterstützung von KARNER
Rückblickend hab' ich mir mit dem Designerheim einen Ast abgesägt. Es gibt nämlich den Rahmen vor für alle Anschaffungen, die man gedenkt davor, daneben, darauf, darunter, oder hinter eine der vielen Glasfronten zu stellen, die ja erst wieder den Blick freimachen auf den neonroten Spielzeugtraktor und die gelb-grüne Plastiktonne. Das ist eine Bürde, weil es fortan nur zwei Möglichkeiten gibt: Man kauft etwas Altes mit Charakter, mit shabby chic und Heritage. Oder etwas Neues, Feines, keine halben Sachen.
Auch in Sachen Fortbewegung gibt es daran kein Rundherum. Man kann Überzeugungstäter sein und Defender fahren, einen auf Schönheitsfleck mit Patina machen. Aber sind Sie mit einem Defender schon von Wien nach Salzburg gefahren? Da ist ab Hundert dann Schluss mit Gesprächen, und man schaut aus wie drei Tage wach, wenn man vor dem Geschäftsmittagessen aus der Folterkabine fällt. Nein, danke, diesmal lieber ordentlich.
Sehr ordentlich: Das, was hinter den Türen des neuen Range Rover wartet.
Ein Range Rover ist das folgerichtige Bekenntnis, weil ein Fahrzeug für mich drei Kompetenzen mitbringen muss. Erstens: Geländegängigkeit. Eine S-Klasse ist nett, ein Siebener auch, aber die lassen sich nicht durch den Steinbruch schleifen. Als Erdbauunternehmer fährt man nicht in der City spazieren, ohne Offroad-Qualitäten ist man aufgeschmissen. Ernsthafte Offroad-Qualitäten. Nicht die Schotterweg-Randsteinparker-Zierleisten-Partie.
Zweitens: Komfort. Auch hinten. Nie wieder Plastikkuh oder Abrollgeräusche, kein Kunstleder und kein Vibrieren mehr. In einem Range Rover heißt Anreise Verwöhnprogramm - man stellt den Wecker eine halbe Stunde früher, den Tempomaten auf Hundertzwanzig und lässt sich von der Hot-Stone-Massage die Myogelosen aus dem Rücken drücken. In der SV-, also Special-Vehicles-Ausführung, kann sich der beifahrerseitige Fond-Platz in eine Lounge auffalten, samt Sitzheizung, Sitzkühlung, Liegefunktion, Klapptischen, Bildschirmen, HDMI-Anschlüssen, Kopfhörern und Schminkspiegel. Dazu der Blick durch das Panoramadach auf eine von tonnenweise Dämmmaterial distanzierte Welt, die wie ein Film an dir vorübergleitet. Nicht einmal in der Gulfstream reist man schöner, außer vielleicht, dass man nicht aufs WC laufen muss beim Rosenberger.
Drittens: Auftreten. Das ist im Geschäftsleben ein gewichtiger Faktor, weil auch die Kunden einen Blick auf den Parkplatz werfen. Wenn dort dann ein Sportwagen parkt, wissen die natürlich, dass einer auf Manager und selber keinen Handgriff macht. Ein Range Rover lässt sich argumentieren. Der ist vielseitig. Also wirklich vielseitig. Der fährt hinauf bis zum Recyclingplatz und durchs Gemüse. Oder im Winter zu Baustellen, von denen die anderen schon die Gasse hinunterkreiseln, mit der Gesichtsbremse voll angezogen. Und wir müssen uns nicht mehr „genieren, wenn wir mit dem Traktor ausreiten“, zum Jedermann am Domplatz oder zum Abendempfang der Porr. O-Ton meiner Frau, keine Defender-Freundin.
Büro to go, für wo immer man möchte.
G’schamster Diener
Die für mich größte Errungenschaft des Neuen, des Feinen, des keine-halben-Sachen-mehr-machen, schreiben sie aber gar nicht in das Prospekt hinein. Es ist die Entschleunigung, das Zeithaben, das Umsorgtwerden. In einem Range Rover muss man sich nicht strecken, um den Kinderwagen in den Kofferraum zu hieven. Man senkt per Luftfahrwerk die Hinterachse ab. Man zieht auch keine Mittelarmlehne heraus. Das geht automatisch. Rücksitze umlegen: automatisch. Rücksitze aufstellen: automatisch. Türen zuziehen: automatisch. Türgriffe aus- und einfahren: automatisch. Sonnenrollos an den Seitenscheiben: automatisch. Becherhalter: automatisch. Fahren: automatisch, so viel man halt darf.
Noch eine Verlegenheit, die ein Range Rover dir aus der Hand nehmen möchte: Das Rangieren. Fünfkommanullfünf Meter Länge durch eine Stadt zu bewegen - Fußgänger von links, Radfahrer von rechts -, das setzt eine gewisse Apathie voraus. Oder eine Allradlenkung. Die verhilft Schiffen wie diesem zum Wendekreis eines Kompaktwagens. Weniger als elf Meter sind nötig, um zwischen zwei Randsteinen umzudrehen. Außerdem gibt es Rangierlichter - weil wir gerade bei Schiffen waren -, die für das Manövrieren in schwach beleuchteter Umgebung einen Lichtteppich unter den Wagen legen. In Verbindung mit der 3D-Surround-Kamera bleiben eigentlich keine Unbekannten mehr, wiewohl der Range Rover die Garagenwände im Zweifelsfall auch selbst durchschreitet. Remote Park Assist heißt die Funktion, die ihn via Smartphone in enge Lücken und wieder heraus dirigieren kann.
Zu schade wär's um Auto und Garage. Remote Park Assist, übernehmen Sie!
Und: Man hetzt sich auch nicht mehr. Die Zeit, in der man früher von Termin zu Termin hechten musste, ist jetzt Me-Time, Erholungspause. La traviata von Verdi oder Pneuma von Tool - das Meridian Signature Soundsystem schlottert dir mit 1.600 Watt das Cortisol aus den Zellen, wenn Danny Carey aus 35 Lautsprechern hämmert. Derweil schaut das Luftfahrwerk mit Dynamic Response Pro Karosseriesteuerungssystem voraus, um die Streckenbedingungen vor dem Fahrzeug einzuschätzen und die Aufhängung entsprechend vorzukalibrieren. Man schwebt ganz einfach drüber. Sogar im Gelände schwebt man einfach drüber.
Fahrwerk auf Garten, wir fahren schnell die Thujen gießen.
Diesen Eindruck verstärkend erkennt die aktive Geräuschunterdrückung Unbehagliches – Radvibrationen zum Beispiel, Reifen auf Untergrund, Motorgeräusche, so etwas – und egalisiert dieses mit einem „Geräuschunterdrückungssignal“, das über die 35 Lautsprecher des Soundsystems ausgespielt wird. Jeweils ein Paar Boxen sitzt in den Kopfstützen der Vordersitze, jeweils eines in den Kopfstützen der äußeren Fondplätze. Um persönliche Ruhezonen zu kreieren, wie Range Rover das nennt. Und: es funktioniert. Ich sage es Ihnen, es funktioniert.
Eine Ehrensache in solch elitären Kreisen: Alles, was nicht Holz, Metall oder Touch-Bedieneinheit ist, ist Leder. Alles alles, sogar die beleuchteten Einstiegsleisten. Während man sich anfangs ja schon die Frage stellt, ob das einem höheren Qualitätsempfinden überhaupt etwas zutragen könne, erwächst innerhalb einer Woche eine Selbstverständlichkeit, derer du dir erst wieder bewusst wirst, wenn du mit deiner Tochter in ihrem L17-Auto Übungsrunden drehst. Was für eine Keksdos'n. Da ist doch sicher irgendwo ein Fenster offen. Und dieses ganze Plastik erst, das Knacksen, das Vibrieren. Es scheppert wie in einem Kluppensackerl.
Die persönlichen Ruhezonen, vorne wie hinten. Wenn dieses Telefon nicht andauernd läuten würde. Geh, Alexa: Flugmodus, bitte.
Fair enough – man muss auch ein bisschen mehr ausgeben. Zwischen dem, was man gerade so als Neuwagen bezeichnen darf, und dem, was ich mir der Stilsicherheit wegen in die Auffahrt stellen musste, liegen Entscheidungen, die gar nicht mehr nur ein Auto betreffen. Das schönste Pool in Niederösterreich, hat ein befreundeter Autohändler gesagt. Oder zwei Jahre Auszeit und auf nichts verzichten. 243.973 Euro kostet der Range Rover D350 in der Special Vehicles Ausführung, inklusive einiger Späße wie den Serenity-Dekorelementen oder dem Event-Seating für den Kofferraum. Wobei man hier festhalten muss: Die Optionen bringen das Fass nicht zum Überlaufen. Der Basispreis des SV D350 liegt bei 228.029 Euro - das heißt Zusatzausstattung für gerade einmal sieben Prozent.
Und gar so ausarten muss es ja nicht. 138.985 Euro wiegt der Einstieg in die britische Geländeadelsliga, da blieben knapp 100.000 Euro, von denen man wegstreichen könnte. Vielleicht der Plug-In-Hybrid und bei den Umfängen sparen, mit Autobiography oder HSE auskommen. Oder auch nicht. Und schnurstracks in die andere Richtung: Langer Radstand, SV-Ausführung, Signature Suite für das Fondabteil und 530 PS aus einem Twinturbo-V8. In Summe ebenfalls 100.000 Euro wert. Gut, dass schnell sein das Letzte ist, das mein Range Rover können sollte.
Der Optimalfall: Etwas Neues und etwas Altes mit Heritage.
Range Rover SV D350
Testwagenpreis: € 243.973 (Basisversion: € 138.958)
Bestellbar: Ab sofort (Konfigurator)
Leistung: 258 kW/350 PS
0-100 km/h: 6,1 sek.
Vmax: 234 km/h
Leergewicht: Ab 2.504 kg
Kofferraum: 1.050-2.335 Liter
Länge/Breite o.S./Höhe: 5.058/2.047/1.870 mm
Verbrauch (WLTP): 7,9 Liter/100 km
CO2 (WLTP): 208 g/km
Ganz schnell: Der Inbegriff der automobilen Vielseitigkeit - auf der Straße und im Gelände. Ein Range Rover umsorgt, bedient, beruhigt und bestätigt. Dafür muss man aber ins Gesparte greifen: Mit hohen Ausstattungslevels dringt man in Sphären vor, die Vergleiche gar nicht mehr nur mit Autos, sondern auch mit Zubauten, Zweitwohnsitzen oder ein paar Jahren nichts arbeiten erlauben.
Eloquent geschrieben und mit der,für mich,richtigen Mischung Demut und Überheblichkeit.
Interessant und kurzweilig,kein zeitraubendes Herumgeschwafel.
Sehr gut gemacht - auch die Bilder.
Liebe Grüße,
Klaus Hiesberger